Dokumentarfilm | Mexiko

Immer wieder Frida

2024 jährt sich der Tod der Künstlerin Frida Kahlo zum 70sten Mal. Über die Jahrzehnte wurde sie zur globalen Ikone und war in ihrem Ruhm kaum noch als Persönlichkeit erkennbar. In einer in Deutschland bislang übersehenen Doku kommt sie endlich wieder selbst zu Wort

Frida Kahlo im Jahr 1933

Als Teenagerin erkor ich Frida Kahlo zu meiner persönlichen Schutzheiligen. Wie Frida hatte ich eine deutsche und eine lateinamerikanische Familie (ihr Vater war mit 19 aus Pforzheim nach Mexiko ausgewandert), wie sie, die als junge Frau einen Busunfall nur knapp überlebt hatte, verbrachte ich als schwer krankes Kind die meiste Zeit im Bett.

Als ich zum ersten Mal eines ihrer Bilder sah, »Den verletzten Hirsch«, der trotz eines halben Dutzends Pfeile in seinem Leib mit Stolz erhobenem Kopf durch einen Wald tänzelt, war ich tief berührt. Bald kaufte ich mir Fridas Briefe, ihre Biografie und reiste später als erwachsene Frau, der es schon längst besser ging und die ein normales Leben führte, auch nach Mexiko. Der unbändige Wille der Malerin, trotz ihrer Schmerzen das Leben in vollen Zügen zu genießen, blieb mein Vorbild.

Einige Jahre später konnte ich ihren Anblick kaum noch ertragen. Auf Postern, Duschvorhängen, T-Shirts und Taqueria-Tapeten: Überall sprang einem Frida Kahlos blumenumkränztes Konterfei entgegen, oft montiert auf den Körper einer jungen Frau in Hotpants. Der Kult um Frida in der Kunstwelt war längst zu einem seelenlosen Popfeminismus verkommen, der sie sexualisierte und zu einer Karikatur machte.

Heute sind viele Mexikaner:innen und andere Latin@s genervt, wenn man Fridas Namen auf den Tisch bringt. Sie ist ein weiblicher Che Guevara geworden, ein Klischee, dass man blind verehrt, ohne etwas über die Frau dahinter zu wissen. Was also hat der in Deutschland bislang nahezu unbeachtete Dokumentarfilm Frida zu bieten, mit dem die mexikanische Regisseurin Carla Gutierrez zu Beginn des Jahres ihr preisgekröntes Debüt beim Sundance Festival gab und der seit März 2024 auf Amazon Prime zu sehen ist?

Pünktlich zu ihrem 70. Todestag zeigt der Film bisher unveröffentlichtes Film- und Bildmaterial der Malerin, doch seine größte Leistung liegt nicht in der Recherche, sondern in den aufwändig produzierten Animationen ihrer Kunstwerke, die so zum Leben erweckt werden. Wir sehen, wie sich die Mexikanerin auf ihren zahlreichen Selbstporträts wahlweise die Haare oder die Adern abschneidet, wie ihr Ehemann Diego Rivera als drittes Auge auf ihrer Stirn wächst und wie sich ihr totgeborenes Kind mal in eine Porzellanpuppe, mal in ein Skelett verwandelt.

Zu diesen Animationen, die die Dokumentation von der Statik befreien, die jeder Malerei-Dokumentation anhaftet, hören wir fast ausschließlich Fridas eigene Worte: aus ihrem illustrierten Tagebuch und ihren Briefen, gesprochen von Fernanda Echevarría del Rivero. „Ich male nicht des Ruhmes wegen“, sondern weil ich muss. Weil ich nur so ausdrücken kann, was ich sonst nicht sagen könnte”, sagt sie. Und: „Ich wusste nicht, dass ich Surrealistin bin, bis André Breton es mir sagte. Aber ich habe nie meine Träume gemalt, sondern meine eigene Realität, so wie ich sie empfinde“.

„Der Film ist eine sehr sehenswerte Hommage, die wieder Lust macht auf Frida, auch wenn man glaubte, ihr Gesicht nie wieder sehen zu können“

An Ereignissen erfährt man dabei so gut wie nichts neues. Von dem verheerenden Busunfall über ihre Beziehung zu Diego Rivera und ihren Affären mit Größen wie Leon Trotzki und Nick Murray, bis hin zu ihrer Bisexualität und ihrer Leidenschaft für das indigene Erbe begleiten wir Frida durch alle bekannten Stationen ihres Lebens.

Doch neue biografische Erkenntnisse sind nicht das Ziel dieser Dokumentation: Gutierrez will Frida ihre eigene Deutungshoheit zurückgeben, sie von all dem Tand befreien, der ihr Erbe überschattet, und zurück zur Person Frida Kahlo. Eine Frau, die, wie aus ihren Tagebüchern hervorgeht, nicht nur Künstlerin, sondern auch Dichterin war. Eine Frau, die politisch war, die gerne fluchte, die Sex liebte und die durch ihre Bilder in einen Dialog mit sich selbst und ihrem zerbrochenen Körper trat.

Als ihr Kind tot zur Welt kam, bat sie den Arzt, ihr den ungeformten Fötus zu geben, damit sie ihn malen könne.  Sie wollte das Leben so zeigen, wie es ist: brutal, unvollkommen, schön. Nach der Fehlgeburt hörte Frida auf, den Stil ihrer großen Liebe Diego Rivera zu kopieren, und schreibt: „Ich will nur noch malen, was ich empfinde und wie ich die Welt sehe. Ich male mich selbst, weil ich mich am besten kenne.“

Dieser tief persönliche Zugang gelingt Gutierrez, die in einem Interview zu ihrer Arbeit sagte: „Ich wollte visuell in ihr Herz springen und in ihre innere Welt eintauchen.“ Zu der Authentizität trägt bei, dass die Doku trotz des damit verbundenen Risikos am amerikanischen Markt nur auf Spanisch mit Untertiteln zu sehen ist. Das Animationsteam bestand fast ausschließlich aus mexikanischen Frauen.

Damit ist der Film eine willkommene Ergänzung zu all den amerikanischen Produktionen über die mexikanische Künstlerin. Einziger Wermutstropfen: wenn andere Stimmen zu Wort kommen als mexikanische oder US-amerikanische, seien es ein russischer Liebhaber Fridas, oder André Breton, hört man ein von übertriebenen Akzenten zersetztes Englisch.

Zu viel Raum bekommt außerdem Fridas Mann Diego. Man hätte sich stattdessen noch mehr Einblicke in Kahlos Leben außerhalb der gut dokumentierten Ehe zu dem berühmten Fresko-Maler gewünscht. Aber blendet man diese kleinen Fehltritte aus, so ist Gutierrez’ Film eine sehr sehenswerte Hommage, die wieder Lust macht auf Frida, auch wenn man glaubte, ihr Gesicht nie wieder sehen zu können.